Call for Articles: Nicht berufen. Arbeitsverhältnisse im Literaturwissenschaftsbetrieb

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Die achte Ausgabe von Undercurrents beschäftigt sich mit den Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen, die nicht nur in den Geisteswissenschaften unzumutbar sind. In der neoliberalisierten Universität stehen die meisten Beschäftigten unter ständigem Vorbehalt: Wo schon verbeamtete Professor_innen neben Forschung, Management des eigenen Lehrstuhls und Lehre permanent die eigene Exzellenz unter Beweis stellen und Drittmittelgelder einwerben müssen, ist der Mittelbau umso massiver von prekären Arbeitsbedingungen betroffen. Die so genannten ‚Nachwuchsforscher_innen‘ sind zu einem großen Teil von bewilligten Projektgeldern und damit sowohl von den Konjunkturen verwertbarer, marktgängiger Forschungsinteressen als auch von feudalistisch erscheinenden Netzwerken der Patro- bzw. Matronage abhängig. Weil sich die flexibilisierte, projektförmige Arbeit an der Universität im Zeitraum von einigen Monaten bis zu wenigen Jahren abspielt, stehen und fallen biographische Entscheidungen mit dem nächsten Anstellungsverhältnis und dem nächsten Arbeitsort. Die Wenigen, die regulär an der Universität beschäftigt sind, sind dies in der überwiegenden Zahl ebenfalls nur im Rahmen von befristeten Zeiträumen. Zumutungen, wie das (wenngleich geringfügig reformierte) Wissenschaftszeitvertragsgesetz, schließen für die meisten längerfristige Perspektiven nach dem Ende von Nachwuchsfördermechanismen aus. Dass viele Stellen zwar in Teilzeit bezahlt werden, aber ein Vollzeitarbeitsaufwand verlangt ist, wird meist geflissentlich verschwiegen. Auch wenn dies angesichts der Ideologie von Wissenschaft als Berufung und Privileg nicht weiter überraschen mag, zeichnet sich der Arbeitsort Universität neben der übergreifenden Neoliberalisierung bei gleichzeitiger Protektions- und Günstlingswirtschaft durch die beinah vollständige Abwesenheit einer Thematisierung der eigenen Arbeitsverhältnisse als Lohnarbeit aus.

Die Situation wirft Fragen auf, die wir in der nächsten Ausgabe von Undercurrents mit einem Schwerpunkt auf die konkrete Situation in den Literaturwissenschaften zuspitzen, erweitern oder – soweit möglich – klären wollen. Erstens wäre zu überlegen: Wie stehen Wissenschaftler_innen überhaupt zur eigenen Arbeitssituation, wie kommt es, dass diese so selten thematisiert wird? Liegt der Grund im Versprechen von sozialem Prestige und im Glauben an altbekannte Bildungsideale, die darüber hinwegsehen lassen, dass faktisch oft unentlohnt gearbeitet wird? Oder ist die insgeheim gehegte Hoffnung ausschlaggebend, am Ende doch zu den auserwählten ‚Besten‘ zu gehören, sodass geleistete Entbehrungen sich vermeintlich auszahlen? Und woher speist sich dieser Wunsch? Wie hängen also institutionelle Strukturen und Ideologien mit individuellen Vorstellungen und Wünschen zusammen? Was heißt es unter diesen Bedingungen, eigenes Scheitern zu thematisieren? Welche Rolle spielt das System der Patro- bzw. Matronage für akademische Selbst- und Arbeitsverhältnisse? Inwieweit spielen Herrschafts- und Ausschlussmechanismen eine Rolle, wenn doch kaum zu übersehen ist, dass mit zunehmender akademischer Hierarchie auch die Anzahl der weißen Männer aus bildungsbürgerlichem Hause steigt?

Zweitens ist zu fragen: Wieso wehren sich so wenige? Und wie könnten Strategien des Widerstands gegen die bestehende Situation und Formen der politischen Organisierung aussehen? Wie wären eine andere Universität und andere Arbeitsformen vorstellbar? Was wird wissenschaftspolitisch oder von Seiten der Gewerkschaften bereits unternommen und wie ist dies jeweils zu bewerten?

Drittens möchten wir uns mit den meist ausgeblendeten Auswirkungen prekärer Berufsaussichten auf individuelle Biographien befassen. Welche Wissenschaftler_innen und welche Frageperspektiven sind in der Geschichte der Literaturwissenschaft am System gescheitert? Inwiefern begünstigen akademische Arbeitsstrukturen psychische Krankheiten wie Burnout oder Depression? Wie wirken sie sich auf (innerakademische) Beziehungen und Freundschaften aus? Wieso stoßen sich so wenige daran, dass an bestimmten biographischen Schwellen in erster Linie weibliche Akademiker_innen ausscheiden? Wie erzählen Literaturwissenschaftler_innen ihre eigenen Biographien und Berufswege?

Viertens wäre in historischer Perspektive zu klären, wie sich die prekäre Arbeit an der neoliberalen Hochschule heute zur immer schon notorisch unterfinanzierten geisteswissenschaftlichen Arbeit verhält. Bringt eine ‚Sozialgeschichte des gelehrten Standes‘ hier weiter (Ghanbari/Bosse, 2012)? Welche Probleme und Lösungsperspektiven gab es in jüngerer Zeit? Waren diese erfolgreich oder nicht und welche Handlungsperspektiven ergeben sich aus der historischen Tiefenschärfe?

Weil die Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeitssituation eine dezidierte Distanznahme impliziert, freuen wir uns besonders über Beiträge, die diesen Anspruch auch formal einlösen und sich nicht auf altbewährte Wissenschaftsprosa verlassen. Essayistisches, Montagen, (Selbst-) Interviews, Pamphlete, Manifestförmiges und ähnliches sind sehr willkommen.

Die Redaktion bittet bis zum 01. April 2016 um aussagekräftige Abstracts für Beiträge zum Thema an unsere E-Mailadresse (email hidden; JavaScript is required). Die fertigen Beiträge, die eine Länge von 3000 Worten nicht überschreiten sollten, sind bis zum 15. Juni 2016 an die Redaktion zu schicken. Die Redaktion behält sich auch nach Einreichung der Beiträge eine Ablehnung vor.

Undercurrents – Forum für linke Literaturwissenschaft (http://undercurrentsforum.com/) fragt nach dem Verhältnis von Literatur, Literaturwissenschaft und emanzipatorischen Bewegungen.

Der Blog versteht sich als Debattenforum für linke Literaturwissenschaftler_innen und Interessierte. Mit Schwerpunktthemen wollen wir in regelmäβigen Abständen (ca. alle 4-5 Monate) Diskussionsanstöβe liefern.