Tagungsankündigung „Die Verschrottung des Nachwuchses und die Zukunft der Wissenschaft“

Zeit:      19. bis 21. Juni 2015
Ort:       TU Dresden, FAL 46b, Raum 158 (Falkenbrunnen, Chemnitzer Straße 46b)

War zur Bulmahn-Reform 2002 nur die Rede davon, gegen das „Mittelmaß im Mittelbau“ eine Nachwuchs-Generation „verschrotten“ zu müssen, scheint die institutionalisierte „Verschrottung“ inzwischen der verlässlichste Bestandteil deutscher Wissenschaftspolitik. Kurze Vertragslaufzeiten, Kettenbefristungen und die Verdrängung regulärer Arbeits-verhältnisse durch WHK, Lehrbeauftragte und Honorarkräfte führen zu einer multiplen und sich verschärfenden Krisensituation, die die Qualifikation und Lebensplanung der wissenschaftlich Tätigen ebenso betrifft wie die Qualität von Forschung und Lehre. Zugleich behindert die Prekarisierung ein kontinuierliches Engagement in Gewerkschaften oder Gremien, während eine offizielle Interessenvertretung durch Gremien oder den Personalrat für WHK und Lehrbeauftragte oft überhaupt nicht existiert.

Dennoch soll das wissenschaftliche Personal universitäre Daueraufgaben weitgehend selbständig erfüllen und zugleich im engen Horizont des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) kontinuierlich forschen und publizieren, um nach exakt 12 Jahren einen der raren Lehrstühle zu ergattern oder – wahrscheinlicher – mit einem faktischen Berufsverbot be-legt zu werden. In der Folge wird kontinuierliche Forschung ersetzt durch das Abfeuern wissenschaftlicher ‚Schnellschüsse‘ und eine zunehmend redundante Publikationsflut. Wachsender Erfolgs- und Zeitdruck führen zur Zunahme wissenschaftlichen Fehlverhaltens, und im Dienste der Drittmittelakquise wird die eigentliche wissenschaftliche Tätigkeit zunehmend durch deren bloße Ankündigung und Simulation ersetzt. Beides begünstigt die Verdrängung unabhängiger, kritischer Forschung durch politisch oder ökonomisch erwünschte ‚Expertisen‘. Dass die Ausgestaltung von Arbeits- und Betreuungsverhältnisse vom „good will“ der ähnlichen strukturellen Zwängen unterworfenen Vorgesetzten abhängt, lädt zum Missbrauch (z.B. Abwälzung von Lehr-, Verwaltungs- und Prüfungsaufgaben) ein. All dies verschlechtert dann für die nächste Generation des wissenschaftlichen Nachwuchses auch die Studienbedingungen und hat noch  weitergehende gesellschaftliche Auswirkungen. Schließlich ist die Freiheit von Wissenschaft und Bildung nicht nur Selbstzweck, sondern auch eine entscheidende Voraussetzung für eine kritische Öffentlichkeit, eine funktionierende Demokratie und eine aktive Zivilgesellschaft.

Trotz bundesweit zunehmender Organisationsbemühungen von Betroffenen in Mittelbau-, Promovierenden- und Lehrbeauftragteninitiativen und wichtiger neuer Impulse auf Seiten der Gewerkschaften, auf deren Vorarbeit – wie dem Templiner Manifest und dem Herrschinger Kodex  – auch die Betroffeneninitiativen aufbauten, bleiben entsprechende Initiativen bislang oft regional oder auf einzelne Beschäftigtengruppen beschränkt. Auch die Kooperation mit den Gewerkschaften ließe sich noch verbessern. Diese Problemlage benennend  und analysierend, aber auch mögliche Lösungsansätze beleuchtend, soll das öffentliche Tagungswochenende neben der inhaltlichen Auseinandersetzung ausdrücklich auch einen Beitrag zur Vernetzung und zum Erfahrungsaustausch bieten.

Freitag, 19.06.2015
15.00 – 19.00 Uhr

Die Voraussetzungen von Wissenschaft und ihre Zerstörung

Ausgehend von einer kurzen wissenschafts- und gesellschaftstheoretischen Einführung zu den Bedingungen neuzeitlicher Wissenschaft werden jüngere institutionelle Verschiebungen (Bolognareform, Exzellenzinitiative, Drittmittelfinanzierung usw.) beleuchtet, die diese Bedingungen ebenso unterminieren, wie es die praktischen Wirkungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetz tun.

Einleitung: Was waren eigentlich die Bedingungen von Wissenschaft?  (Tino Heim, Dresden)

Konkretisierung I: Institutionelle und semantische Para-doxien in der gegenwärtigen Hochschulpolitik. (Patrick Wöhrle, Weimar)

Konkretisierung II: Wissenschaftszeitvertragsgesetz – Anlage, Auswirkungen und Evaluation (Anja Weber, Dresden)

Samstag, 20.06.2015
10.00 – 12.00 Uhr

Nachwuchs in der Krise: Perspektiven auf wissenschaftliche Prekarisierung

Der Begriff „wissenschaftlicher Nachwuchs“ umfasst sehr verschiedene Beschäftigten- und Statusgruppen, deren je besondere Situation genauer in den Blick genommen werden muss. Denn durch die Fragmentierung der Erwerbsverhältnisse haben auch übergreifende Problemlagen jeweils ganz verschiedene ökonomische, rechtliche und soziale Ausprägungen. Erst auf der Basis der Klärung von entsprechenden Gemeinsamkeiten und Differenzen in den Betroffenheiten und Interessen kann die Frage nach möglichen gemeinsamen „Wegen aus der Krise“ diskutiert werden.

Promovierende – Tilo Zienert (Promovierendenrat Freiberg) und N.N. (Promovierendeninitiative Halle/Wittenberg)
Promovierte – Michael Frey (Berlin)
Lehrbeauftragte – N.N.
WHK/SHK – Hilfskraftinitiative Frankfurt/Main
Juniorprofessur – N.N.
Emigrierte – Lars Frers (Telemark, via Skype)

13.00 – 14.30 Uhr

Wege aus der Krise?

Podiumsdiskussion mit Michael Frey (Berlin),  Torsten  Steidten (GEW-Sachsen), Mathias Kuhnt (Dresden), Diana Authmann (Leipzig), Peter Ullrich (Berlin) sowie ein*e Vertreter*in der Promovierendeninitiative Halle/Wittenberg und der Hilfskraftinitiative Frankfurt/Main.

15.00 – 16.30 Uhr

Die Krise der Wissenschaft und die Zerstörung ihrer gesellschaftlichen Funktionen

Die Entwicklungen der letzten Dekaden betreffen nicht nur individuelle Biographien, sie führen zur systematischen Demontage freier Forschung und Lehre. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme offenkundig paradoxer Entwicklungen in der akademischen Alltagskultur soll genauer durchleuchtet werden, in welchen Formen und warum die Wissenschaftspolitik und das Wissenschaftsmanagement der letzten Dekaden die Bedingungen und Funktionen von Wissenschaft unterminiert. Neben im engeren Sinne wissenschaftspraktischen Problemen (Verunmöglichung von Grundlagenforschung, Anreizung wissenschaftlichen Fehlverhaltens etc.) sollen die Auswirkungen auf die kritischen und zivilgesellschaftlichen Leistungen von Wissenschaft in den Blick genommen werden.

Konkurrieren, Quantifizieren, Verwalten, Verrechnen, Verwerten – Einführende Bemerkungen zur Entwicklung wissenschaftlicher Alltagskulturen (Tino Heim, Dresden)

Prekarisierung von Wissensarbeit, Ökonomisierbarkeitsfiktionen und die Produktionsbedingungen wissenschaftlichen Wissens (Peter Streckeisen, Basel)

17.00-19.00 Uhr

Formen, Bedingungen und Funktionen wissenschaftlicher Kritik und kritischer Wissenschaft

Impulsreferate und Podiumsdiskussion mit Tilman Reitz (Jena), Tine Haubner (Jena), Christoph Henning (Erfurt), Tino Heim (Dresden), Peter Streckeisen (Basel)

Sonntag, 21.06.2015
10.00-13.00 Uhr

Die Krise der Lehre und der nächsten Nachwuchs-Generation

Die Perspektive des Mittelbaus kann nur unter Berücksichti-gung der Perspektive der Studierenden adäquat diskutiert werden. Denn die Lehre, die eigentlich eine der wesentlichen Aufgaben von Hochschulen sein sollte, leidet nicht nur unter Diskontinuitäten und Überlastungen des wissenschaftlichen Personals, sondern auch darunter, dass Lehre für die ausschließlich an Publikationen ausgerichteten individuellen Karriereperspektiven primär ein Hindernis darstellt. Damit wird die aktuelle Krise des wissenschaftlichen Mittelbaus zugleich zu einer Krise der Studierenden. In den letzten Jahren haben sich auch hier vermehrt neue Formen der Selbstorganisation entwickelt. Mit Vertreterinnen entsprechender Initiativen und des Freien Zusammenschlusses von StudentInnenschaften sollen die Problemlagen, aber auch Aktionsformen und Gestaltungsmöglichkeiten jenseits der offiziellen Gremienarbeit diskutiert werden.

Innenansichten aus dem Studium und der studentischen Selbstvertretung – Vertreter*innen von Quo Vadis & anderen Basisorganisationen sowie Vertreter*innen des fzs und studentischen Vertreter*innen der GEW

Hier geht’s zum Programmflyer.

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