Offener Brief an Prof. Dr. Müller-Steinhagen

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller-Steinhagen,

nach Ihrem Vortrag auf der Personalversammlung vom 27.10.2014 ist die Mittelbauinitiative sehr erfreut, in Ihren ganz persönlichen Zukunftsvorstellungen viele Ideen wiederzufinden, wie wir sie auch in unserem Arbeitspapier formuliert haben, das die Grundlage der leider vorerst gescheiterten Gespräche über eine Beschäftigungsvereinbarung bildete. Umso mehr bedauern wir es, dass vom Rektorat keinerlei Bereitschaft zu erkennen war, sich ernsthaft (d.h. über ‚ganz persönliche Vorstellungen‘ hinausgehend) mit unseren Vorschlägen auseinanderzusetzen.

Gleichzeitig verspüren wir auch ein gewisses Befremden hinsichtlich Ihres Vortrags, das sich zunächst an einem vielleicht nur stilistisch etwas unglücklichen Darstellungsmittel veranschaulichen lässt: Die Beschäftigungsgruppe der unbefristeten Arbeitnehmer*innen haben Sie in Ihrer Präsentation mit einer alarmierenden roten Unterlegung versehen – im Unterschied zu den bei einer Neuberufung problemlos zu „entsorgenden“ befristeten Angestellten, die mit einem grünen Häkchen gekennzeichnet waren. Gerade auf einer Personalversammlung wirft eine solche potenziell stigmatisierende Hervorhebung unbefristeter Verträge einige Fragen auf.

Dabei geht es allerdings weniger um Stilmittel, sondern um die derzeit praktizierte Personalpolitik, für die uns diese Darstellungsform symptomatisch erscheint. Es entsteht der Eindruck, dass das wissenschaftliche Personal unterhalb der Professur lediglich als eine Verfügungs-, Verhandlungs- und Manövriermasse betrachtet wird, die für die Qualität von Forschung und Lehre an der TU Dresden eher unerheblich scheint, so sie nicht gar einen Hemmschuh darstellt. In diesem Zusammenhang geht auch Ihre einseitige Betonung der Akquirierung von sog. „Spitzenforscher*innen“ als einzige Grundlage universitärer „Exzellenz“ an der institutionellen Wirklichkeit vorbei, da der Großteil der Grundlagenarbeit sowohl in Forschung als auch Lehre durch den Mittelbau abgedeckt wird. Dies ist das unerlässliche Fundament, auf dem auch die sog. Spitzenleistungen aufbauen.

Darüber hinaus lässt jene Einseitigkeit auch ein überaus eingeschränktes oder illusorisches Verständnis von Wissenschaft erkennen: In der wissenschaftlichen Alltagswirklichkeit lassen sich Erfolge eben nicht administrativ herbeizaubern, sondern beruhen auf langfristiger und kontinuierlicher Arbeit. Bei der Entwicklung neuer technischer Messverfahren ebenso wie bei der sozialwissenschaftlichen Modellbildung bedarf es vieler Jahre von „Versuch und Irrtum“, um zu wirklichen Innovationen zu gelangen. Dies erfordert aber gerade auch die Möglichkeit zur selbstbestimmten und planbaren Arbeit in der sog. Qualifikationsphase. Eine Befristungspraxis, die vor allem daran interessiert scheint, über einen kurz- oder kettenbefristeten Arbeitskräftebestand nach Belieben zu disponieren, beschädigt so letztlich nicht nur die individuelle Perspektive meist hochqualifizierter und engagierter Arbeitnehmer*innen, sondern sie zerstört auch die Grundlagen von wissenschaftlicher Forschung und Lehre selbst. Das gilt unter anderem auch deshalb, weil sich an vielen Professuren inzwischen eine zunehmend nachlässige Einstellungspolitik beobachten lässt, da sich für kurzbefristete Anstellungsverhältnisse ein aufwendiges Auswahlverfahren gar nicht lohnt.

Diese Probleme lassen sich auch nicht durch kreative Berechnungsmodelle aus der Welt schaffen, wie sie von Ihnen auf der Personalversammlung erneut präsentiert wurden: Wenn man zunächst die Gruppe der hochgradig prekär Beschäftigten (WHK, Lehrbeauftragte, Honorarkräfte) gar nicht mit einbezieht und daraufhin das „verbliebene“ wissenschaftliche Personal auf Vollzeitäquivalente umrechnet, bekommt man selbstredend ein statistisch hochgradig verzerrtes bzw. verfälschtes Bild der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse. Durch die Praxis der Teilung von befristeten Arbeitsplätzen erhöht sich die reale Zahl von befristeten Arbeitsverhältnissen gegenüber den unbefristeten deutlich. Diese Zahlen sind öffentlich und lassen sich in den Präsentationsfolien auf unserer Seite finden.

Ihre Behauptung, „Spitzenforscher*innen“ würden den Ruf an die TU Dresden mit der alleinigen Begründung ablehnen, dass sie eine unbefristete und bereits besetzte Mitarbeiterstelle an ihrem künftigen Lehrstuhl vorfinden, halten wir für nachweispflichtig. Wären nicht sogar umgekehrt Fälle denkbar, in denen erfahrenen und längerfristig beschäftigten Mitarbeiter*innen, vor allem hinsichtlich der mit Neuberufungen verbundenen Veränderungen, wichtige Funktionen zukämen (Vertrautheit mit administrativen Abläufen Kontinuität von Forschung und Lehre, Praxis- und „Rezept“-Wissen etc.)?

All diese Fragen lassen sich nicht einfach pauschal als ‚politische Statements‘ zurückweisen, wie sie es in der letzten Personalversammlung getan haben. Es handelt sich um Sachprobleme, die selbstverständlich auch politische Entscheidungsfragen aufwerfen. Aber zumindest aus unserer Sicht gehört auch die Auseinandersetzung mit hochschulpolitischen Belangen in den Aufgabenbereich einer Universitätsleitung. Ein guter Rahmen für eine solche produktive und konstruktive Auseinandersetzung wären Gespräche über eine Beschäftigungsvereinbarung. Gerade mit Blick auf die übereinstimmenden Ansichten zum Thema Drittmittel ist der Abbruch der Verhandlungen zu bedauern.

Wir als Mittelbauinitiative ziehen ehrliche und konstruktive direkte Gespräche einer Verhärtung von Fronten und ausschließlicher Kommunikation über Medien vor. Wir sind uns der Zwänge, unter denen eine Universitätsleitung agiert, durchaus bewusst, verlangen aber auch, dass die Probleme der Mitarbeiter*innen ernst genommen werden. Das hieße für uns an gemeinsamen Lösungen im Sinne dann verbindlicher Minimalstandards zu arbeiten, die durchaus im Gestaltungsspielraum der Universität liegen. In diesem Sinne, sehr geehrter Herr Müller-Steinhagen, lassen Sie uns in solche vertrauensvollen Gespräche einsteigen, die anders als die letzten in einer gleichberechtigten, konstruktiven und zielorientierten Form verlaufen.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihre Mittelbauinitiative