Nachwuchs bis zum Tod im Traumjob Wissenschaft (Tagungsbericht)

von Tino  Heim, Anja Weber und Patrick Wöhrle

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// Politische Debatten um den wissenschaftlichen „Nachwuchs“ verfehlen die wirklichen Probleme, und die kosmetische Kaschierung von Symptomen durch den „Pakt für Nachwuchsförderung“ oder die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) werden die Situation des akademischen Personals nicht verbessern. Es bedarf endlich klarer Grundsatzentscheidungen, wie Wissenschaft als Beruf und die Institution Universität neu zu gestalten sind. Welche Existenzchancen unabhängige Forschung und Lehre dabei überhaupt noch haben, wird sich wesentlich daran entscheiden, ob die Betroffenen neue Organisations- und Aktionsformen finden und ob sie bereit sind, radikalere Forderungen zu stellen als die nach einer etwas längeren Vertragslaufzeit. Das sind zentrale Ergebnisse einer Tagung, die unter dem Titel „Die Verschrottung des Nachwuchses und die Zukunft der Wissenschaft” im Sommer 2015 in Dresden stattfand. //

Symptomlinderung oder Strukturverbesserung?

Es ist bezeichnend für die verheerende Situation des deutschen Wissenschaftsbetriebs, wenn es derzeit allerorts als „Riesenerfolg“ und „großer Schritt“ in die richtige Richtung gefeiert wird, dass einige der seit 15 Jahren diskutierten Probleme endlich auch in der Politik wahrgenommen werden, die den „Wildwuchs“ der Kurzzeitverträge und den „kreativen“ Gebrauch der sachgrundlosen Befristung nun etwas einhegen will.* Dabei sind die engen Grenzen und paradoxen Effekte der avisierten Maßnahmen schon jetzt allzu vorhersehbar: Sicher darf der sogenannte wissenschaftliche „Nachwuchs“ zwischen 25 und 65 bald öfter auf über ein Jahr, mitunter gar auf drei Jahre befristete Verträge hoffen, und der Pakt für Hochschulförderung gibt mit befristeten Sondermitteln für 1.500 Juniorprofessuren satten 0,004 % der ca. 370.000 haupt- oder nebenberuflich als wissenschaftliches und künstlerisches Personal Beschäftigten die Chance, sich weitere sechs Jahre für die Hoffnung auf eine unbefristete Professur abzurackern, deren Finanzierung indes ungewiss bleibt. Am Grundproblem, dass es dauerhafte wissenschaftliche Berufs- und Entwicklungsperspektiven kaum gibt, ändert dies nichts. Unterdessen bedeutet die vorgesehene Aussetzung der sachgrundlosen Befristung nach WissZeitVG für das technische und Verwaltungspersonal für viele der ca. 300.000 dort Beschäftigten, die oft akademisch qualifiziert sind und in Grauzonen zur wissenschaftlichen Tätigkeit arbeiten, de facto nur, dass der Zeithorizont ihrer Berufslaufbahn von derzeit zwei mal sechs Jahren auf jene zwei Jahre schrumpft, die das Teilzeit- und Befristungsgesetz vorsieht, denn an unbefristeten Stellen mangelt es auch hier.

Ein großer Schritt in die richtige Richtung ist das kaum, eher ein kleiner Schritt zur Verstetigung der aktuellen Misere. Soll es für wissenschaftliche Forschung und Lehre, die diesen Namen verdient, noch eine Zukunft und für die vielfältigen Berufsgruppen, von denen dies abhängt, wieder akzeptable oder sogar attraktive Arbeitsbedingungen geben, müssen die Problemanalysen tiefer gehen und Strukturfragen und Veränderungsforderungen sehr viel weitergehend formuliert werden. Dazu kann ein Rückblick auf einige Ergebnisse der von der Mittelbauinitiative Dresden organisierten und von der GEW und dem Referat Politische Bildung des Dresdner StuRa unterstützten Tagung „Die Verschrottung des Nachwuchses und die Zukunft der Wissenschaft“, die vom 19. bis 21. Juni 2015 stattfand, einen Beitrag leisten.

Ziel der Tagung war es, die hinlänglich bekannten Prekarisierungstendenzen im universitären Mittelbau etwas differenzierter und im Kontext weiterer gesellschaftlicher Krisenkonstellationen zu betrachten. Denn die Krise des Mittelbaus ist symptomatisch für umfassendere Transformationen, die weit über bloße Betroffenheiten und Befindlichkeiten einer prekarisierten Statusgruppe hinausreichen und die Zukunft akademischer Forschung und Lehre, der Universität als Institution, aber auch der Freiheit der Wissenschaft gegenüber ökonomischen und politischen Zwängen betreffen.

Als gravierendes, die individuelle, institutionelle und gesellschaftliche Ebene übergreifendes Strukturproblem trat in allen Beiträgen die durch viele Faktoren beförderte Verkürzung der akademischen Zeit- und Planungshorizonte auf 2- bis 4-Jahresfristen hervor, die kontinuierliche Grundlagenforschung ebenso verunmöglicht wie die Entwicklung nachhaltiger und tragbarer Lehrkonzepte: Die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen, die Verbindung der öffentlichen Mittelzuweisung mit künstlich induziertem Konkurrenzdruck – ob bei der drittmittelfinanzierten Forschung oder im Rahmen von „Exzellenzinitiativen“ – und die immer nur kurzfristige Symptombehandlung der strukturellen Überlastung in der Lehre durch Sondermittel für Überlaststellen und Lehrkräfte für besondere Aufgaben sind hier nur die auffälligsten Erscheinungen. Hinzu kommt die auf den oberen universitären Hierarchieebenen verbreitete Tendenz, die daraus resultierenden Problemlagen „nach unten“ durchzureichen und zugleich die Mittel einer flexiblen Personalpolitik möglichst exzessiv zu nutzen, was die „Leistungsbereitschaft“ der Untergebenen maximiert und ihre Konfliktfähigkeit minimiert. Dies führt zu den allseits bekannten Merkmalen heutiger wissenschaftlicher Arbeitsverhältnisse: Kurze, oft nur semesterweise Verträge, Kettenbefristungen und die Verdrängung regulärer Arbeitsverhältnisse durch irreguläre Stellen wie WHKs, Lehrbeauftragte und Honorarkräfte führen zu einer umfassenden und sich immer weiter verschärfenden Krisensituation, die die Qualifikation und Lebensplanung der wissenschaftlich Tätigen ebenso betrifft wie die Qualität von Forschung und Lehre, in der angesichts der Personalfluktuation oft nicht einmal mehr sicher ist, dass Prüfungsleistungen bei denselben Dozent*innen erbracht werden können, die die Seminare gehalten haben. Zugleich behindert die durchgehende Prekarisierung ein kontinuierliches Engagement in Gewerkschaften oder der akademischen Selbstverwaltung, während eine offizielle Interessenvertretung durch Gremien und/oder den Personalrat für WHKs und Lehrbeauftragte überhaupt nicht vorgesehen ist.

In dieser anomischen Lage soll das wissenschaftliche Personal universitäre Daueraufgaben dennoch weitgehend selbständig erfüllen und zugleich im engen Horizont des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) kontinuierlich forschen und publizieren, um nach exakt 12 Jahren einen der raren Lehrstühle zu ergattern oder – wahrscheinlicher – mit einem faktischen Berufsverbot belegt zu werden, da andere als befristete Stellen kaum mehr existieren. In der Konsequenz wird kontinuierliche Forschung dann ersetzt durch das Abfeuern wissenschaftlicher ‚Schnellschüsse‘ und eine zunehmend redundante Publikationsflut. Wachsender Erfolgs- und Zeitdruck führen zur Zunahme wissenschaftlichen Fehlverhaltens, und im Dienste der Drittmittelakquise wird wissenschaftliche Tätigkeit zunehmend durch deren bloße Ankündigung und Simulation ersetzt (wie an einschlägigen Beispielen von Cargo-Cult-Wissenschaften v.a. der Vortrag von Tino Heim herausarbeitete). Beides begünstigt die Verdrängung unabhängiger, kritischer Forschung durch politisch oder ökonomisch erwünschte ‚Expertisen‘. Dass die Ausgestaltung von Arbeits- und Betreuungsverhältnissen vom „good will“ der ähnlichen strukturellen Zwängen unterworfenen Vorgesetzten abhängt, lädt zu weiterem Missbrauch (z.B. der Abwälzung von Lehr-, Verwaltungs- und Prüfungsaufgaben) ein. All dies verschlechtert dann für die nächste Generation des wissenschaftlichen Nachwuchses auch die Studienbedingungen und hat weitgehende gesellschaftliche Auswirkungen. Schließlich ist die Freiheit von Wissenschaft und Bildung nicht nur Selbstzweck, sondern auch eine entscheidende Voraussetzung für eine kritische Öffentlichkeit, eine funktionierende Demokratie und eine aktive Zivilgesellschaft (wie insbes. die Podiumsdiskussion mit Tine Haubner, Tilman Reitz und Peter Streckeisen deutlich machte).

Vor diesem Hintergrund war es zunächst ein Ziel der Tagung, den Begriff des Mittelbaus möglichst umfassend und integrativ zu bestimmen, um die Vielfalt der Arbeitsverhältnisse und Lebenssituationen sichtbar zu machen, die bei einer Fokussierung auf das „reguläre“**, auf wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen beschäftigte Personal leicht aus dem Blick geraten. Schließlich umfasst der „wissenschaftliche Nachwuchs“ sehr verschiedene Beschäftigten- und Statusgruppen, deren je besondere Situation genauer in den Blick genommen werden muss, da die Fragmentierung der Erwerbsverhältnisse auch übergreifenden Problemlagen jeweils ganz verschiedene ökonomische, rechtliche und soziale Ausprägungen verleiht, deren jüngste Entwicklungen v.a. der Vortrag von Michael Frey (Berlin) anhand aktueller Daten herausarbeitete. Erst auf der Basis der Klärung von entsprechenden Gemeinsamkeiten und Differenzen in den Betroffenheiten und Interessen kann die Frage nach möglichen gemeinsamen Wegen aus der Krise (s. unten) diskutiert werden.

Ein Hauptergebnis der Podiumsdiskussion „Nachwuchs in der Krise: Perspektiven auf wissenschaftliche Prekarisierung“*** war gleichwohl, dass die Problemlagen der „regulär“ Beschäftigten sich mit denen vieler anderer Statusgruppen inklusive der Studierenden hinreichend decken, um nach gemeinsamen Formen der Artikulation und Vertretung kollektiver Interessen über Statusdifferenzen hinweg zu suchen: Ob Lehrkräfte für besondere Aufgaben, Wissenschaftliche Hilfskräfte, Lehrbeauftragte, drittmittelfinanzierte Projektmitarbeiter*innen, an außeruniversitären Forschungseinrichtungen Beschäftigte oder Stipendiat*innen, Privatdozent*innen – überall zeigt sich in verschiedener Ausprägung, dass „Wissenschaft als Beruf“ heute mit existenziellen Risiken, einem Mangel auch nur an mittelfristigen Perspektiven und manifesten Ausbeutungsverhältnissen einhergeht.

Statusgruppenübergreifende Probleme des Mittelbaus

Hybride Anforderungen und personale Abhängigkeiten

Als ein Effekt der hybriden Mischung aus überkommenen Ordinarienstrukturen (Lehrstuhlstruktur, Identität von Vorgesetztem/r und Gutachter*in der Qualifikationsarbeit), den neuen Anforderungen der „unternehmerischen Universität“ (Drittmittelakquise, Selbstvermarktung, Selbstoptimierung) und den Funktionen einer Massenbildungsanstalt mit entsprechendem Prüfungs- und Zertifizierungsaufwand (die vor allem in den Vorträgen von Peter Streckeisen (Basel) und Patrick Wöhrle (Weimar) herausgearbeitet wurden) ist der Mittelbau oft in mehrfachen Doublebinds höchst widersprüchlicher Anforderungen gefangen. Zum einen wird ein hohes Maß an Kompetenz und Selbständigkeit in der Lehre ebenso wie in der Beteiligung an Projektanträgen und Publikationen verlangt und stillschweigend vorausgesetzt, für die sich die Mitarbeiter*innen gemäß der Qualifikationsfiktionen des WissZeitVG eigentlich erst noch qualifizieren sollen. Zum anderen verbleiben die formalen Befugnisse zur selbständigen Lehre und Forschung bei den Professor*innen, denen mithin auch viele Leistungen des Mittelbaus zugerechnet werden. Dabei schwebt mit dem Damoklesschwert des auslaufenden Vertrags immer schon eine Drohung im Raum, deren Durchschlagskraft durch die direkte Abhängigkeit vom / von der Professor*in eine persönliche Komponente erhält.

Forever young – „Nachwuchs“ ad infinitum

Zugleich führt die eben angesprochene hybride Mischung dazu, dass abseits der raren Professuren jede/r noch so erfahrene Wissenschaftler*in unbesehen dem „wissenschaftlichen Nachwuchs“ zugerechnet wird – was für hochqualifizierte Menschen (mit Hochschulabschluss, Promotion oder gar Habilitation) eine Herabstufung und Entmündigung darstellt, die ihrem akademischen Werdegang in keiner Weise entspricht. Der sogenannte „Nachwuchs“ verrichtet „ganz normale“, weil produktions- und reproduktionswichtige Arbeit, die sich von der der Professor*innen (außer in Gehalt und Status) oft in nichts unterscheidet: Man projektiert, publiziert, zertifiziert, qualifiziert, vermittelt, beantragt, evaluiert und vieles mehr, aber man tut dies größtenteils unter den „a-normalen“ Bedingungen einer ins Unabsehbare verlängerten vermeintlichen „Jugend-“ und „Qualifikationsphase“, die als Rechtfertigung für die rigide Befristungspraxis des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und für die Aufrechterhaltung der (personalen und institutionellen) Abhängigkeitsverhältnisse dient (vgl. Vortrag Patrick Wöhrle). Auch an diese Problemlagen rühren die derzeitigen Reformdebatten so gut wie nie. Bestenfalls versprechen sie, die Qualifikationsphase noch etwas zu verlängern – ob mit der Juniorprofessur oder mit dem jüngsten Vorschlag der HRK, an die Habilitation noch eine „Orientierungsphase“ als weiteren Befristungsgrund anzuhängen.

Diversität der Statusgruppen als Solidarisierungshemmnis

Die Tagung zeigte recht deutlich, dass die Analyse der übergreifenden Problemlagen überfällig war, hält sich doch hartnäckig das Gerücht, dass die Probleme der einzelnen (o.g.) Gruppen nicht vergleichbar wären. Dieser Mythos wird keineswegs nur ‚von oben‘ im Sinne des Teile-und-herrsche-Prinzips gestreut; oft genug wird er auch von Vertreter*innen des Mittelbaus selbst gestützt und getragen – ob dies nun zur Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen, zur Akzentuierung und Stärkung der eigenen Interessen gegenüber Politik und anderen Verantwortlichen oder einfach nur aus Standesdünkel oder einer Konkurrenzlogik heraus geschieht.

Zunächst könnten die „regulär“ als Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen Beschäftigen als Teil eines gewissermaßen luxurierenden Prekariats erscheinen, genießen sie doch das befristete Privileg einer relativ gut entlohnten tariflichen Anstellung, die Krankenversicherung, Personalvertretung und (zumindest theoretische) Partizipationsmöglichkeiten im Rahmen der Gruppenuniversität einschließt – wenn auch mit nur kurzfristigen Zukunftsperspektiven. Diese „regulären“ Anstellungsformen werden jedoch durch andere, noch weitaus prekärere Beschäftigungsverhältnisse erodiert und unterschichtet, in denen selbst die letzten Rudimente von Normalarbeitsverhältnissen ausgelöscht sind. Zu nennen sind hier v.a.:

  •  Wissenschaftliche Hilfskräfte, die oft dieselben Tätigkeiten verrichten wie Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, dabei aber weitaus schlechter entlohnt werden, keine arbeitsrechtliche Vertretung haben und denen weniger Urlaub, kein Weihnachtsgeld und keine Rentenversicherung zusteht (Marie Dieckmann/Milan Loewy, Hilfskraftinitiative FFM);
  • Promotions- und Post-Doc-Stipendiat*innen, die im Rahmen ihrer Forschung für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen faktisch Berufsaufgaben wahrnehmen, dabei aber von dem gegenüber einer tariflichen Beschäftigung deutlich niedrigeren Stipendium gar noch ihre Krankenversicherung selbst bezahlen müssen und durch den arbeitsrechtlich unbestimmten Status auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Rente erwerben (Caroline Behrens).

Wo diese Gruppen immerhin noch hoffen dürfen, ihr Status sei nur ein Durchgangsstadium zu einer regulären Tätigkeit, fehlt anderen Statusgruppen auch diese Perspektive:

  • Lehrbeauftragte und Honorarkräfte, über die ein Großteil der Aufgaben in der akademischen Sprach-, Kunst- und Musiklehre abgewickelt wird, sind gar keine Mitglieder der Universität, sondern im Prinzip Selbstunternehmer*innen / Scheinselbständige, die weder korporative Rechte noch irgendeinen Einfluss auf die Gestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse haben (Diana Authmann, Lehrbeauftragteninitiative Leipzig).

Diese objektiven Einkommens- und Status-Differenzen werden in ihren Wirkungen durch eine von Distinktion und Konkurrenz geprägte Alltagspraxis oft noch potenziert. So sind Lehrbeauftragte auch in Mittelbauinitiativen häufig schlecht eingebunden, da andere Vertreterinnen des Mittelbaus auf diese Statusgruppe z.T. als eine Art Paria-Gruppe herabschauen bzw. auch die Selbstwahrnehmung, es in der Wissenschaft nicht wirklich ‚geschafft‘ zu haben, eine Solidarisierung hemmt. Diese Fragmentierungs- und Entsolidarisierungstendenzen verschärfen damit faktisch die gesamte Problemlage des wissenschaftlichen Mittelbaus, weil sie eine kollektive Formulierung und Vertretung geteilter Interessen blockieren.

Die Prekarität verschärft sich zudem in der zweiten Qualifizierungsphase noch. Der Verbleib an einer Universität oder außeruniversitären Forschungseinrichtung nach der Promotion ist eine dezidierte Entscheidung für eine wissenschaftliche Karriere, die in Deutschland zwingend in einer Professur enden muss. Zugleich verschärfen sich auch die genannten Fragmentierungs- und Entsolidarisierungstendenzen, wie der Beitrag von Michael Frey (Promovierte) sowie ein Statement von Katja Levy (Juniorprofessor*innen) deutlich zeigten.

Strukturbedingt eingeschränkte oder gänzlich fehlende Konfliktfähigkeit

Kurze Vertragslaufzeiten bzw. semesterweise vergebene Lehraufträge hebeln den Sinn und Zweck einer längerfristigen Interessenvertretung aus, so denn eine solche überhaupt vorgesehen ist. Universitäre Gremien werden für Legislaturen von 3 bis 5 Jahren gewählt, doch solche Laufzeiten werden auch nach der Novellierung des WissZeitVG in der Vertragsgestaltung das seltene Maximum bleiben. Die persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse (s.o.) erschweren Kritik und ggf. die Wahrnehmung von Personalvertretungsrechten gegenüber dem / der Vorgesetzten zusätzlich. Lehrbeauftragte, Honorarkräfte und WHKs haben schlicht keinerlei Personalvertretungsrechte: die einen, weil sie gar nicht Mitglieder der Hochschulen sind, und die anderen, weil diese Tätigkeiten statistisch als Nebentätigkeiten und buchhalterisch als Sachkosten geführt werden.

Da die regulären Vertretungsformen systematisch ausgehebelt werden, ist die wahrscheinlichste und oft einzig verbleibende Form der Organisation von Vertretung die Form der Basisinitiative. Doch auch Basisinitiativen scheitern aus den bereits genannten Gründen häufig am Wegbrechen der aktiven Personen, so dass mit großem Aufwand das Organisationswissen und die Strukturen immer wieder neu geschaffen werden müssen (s. u. Wege aus der Krise).

Kriterial unbestimmter Publikationsdruck bei systematischer Geringschätzung der universitären Lehre und der Publikationsinhalte

Wissenschaftler*in zu sein bedeutet derzeit eine permanente Arbeit an der eigenen Karriere, die zugleich existenzielles Risiko und einziger Weg ist, in der Wissenschaft zu bleiben. Als ‚hard fact‘ in Bewerbungs-, Begutachtungs- und Evaluierungsverfahren wie auch in Berufungskommissionen gilt v.a. eine möglichst hohe Anzahl von ggf. Peer-Review-Publikationen. Diese Konzentration auf äußerliche und meist rein quantitative Indikatoren verdrängt in vielen Fällen eine eigenständig vorgenommene Qualitätsprüfung der betreffenden Publikationen. Auch ist in einem derart ausgerichteten Kriterienkatalog eine institutionalisierte Anerkennung für gute Lehre schlicht nicht vorgesehen, da die (forschungszentrierte) Professur in Deutschland inzwischen nahezu die einzige verbliebene langfristige Position darstellt. Ein Engagement in und für die Lehre wird so zum größten Karrierehindernis. Aber auch zeitintensive und kontinuierliche Forschung, das Dokumentieren von Irrtümern, Umwegen und Sackgassen etc., die Bereitschaft zu unkonventionellen, experimentellen und ergebnisoffenen Fragestellungen – kurz: alles was solide wissenschaftliche Arbeit auszeichnet – werden durch den erhöhten Publikations- und Evaluationsdruck negativ sanktioniert.

Systematische Unterminierung intrinsischer Motivationslagen

Angesichts der Prekarität des wissenschaftlichen Karriereweges gibt es eigentlich nur noch wenige Gründe, sich der Wissenschaft zu verschreiben. Einer davon ist Überzeugung und Erkenntnisinteresse. Wenn jedoch das Wissenschaftssystem mit seinen eigenen Quantitätsstandards zusehends auch die individuellen Qualitätsstandards der in ihm Beschäftigten untergräbt, indem weite Teile ihrer Tätigkeit in keiner Weise gratifiziert werden, ja sogar dezidiert nachteilig für das berufliche Fortkommen sind, fallen auch diese „intrinsischen“ Motive irgendwann weg. Anders ausgedrückt: Wer wirklich Wissenschaftler*in sein will, wird sich mit der Erfahrung, jegliche Ansprüche an redliche Forschung und verantwortliche Lehre aufgeben zu müssen, um sich auf die Simulation wissenschaftlicher Tätigkeit zu beschränken, nicht zufrieden geben. Universitäten und Forschungseinrichtungen haben daher in bestimmten Bereichen schon heute zunehmend Probleme, hinreichend qualifizierten wissenschaftlichen „Nachwuchs“ überhaupt noch zu rekrutieren.

 

Ursachen

Als entscheidende Wegmarken, die für diese Problemlagen verantwortlich zeichnen und die vor allem, aber nicht nur die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses betreffen, wurden in den Vorträgen und Diskussionen die folgenden Punkte identifiziert:

Hybrid aus „unternehmerischer Universität“ und traditioneller Ordinarienuniversität

Die heutige deutsche Universität ist eine hybride Mischform aus Ordinarienuniversität und „unternehmerischer Universität“, die die Nachteile beider Modelle vereint (vgl. Vortrag von Peter Streckeisen). Für den Mittelbau existiert nach wie vor keine Selbständigkeit in Forschung und Lehre, sondern eine verstetigte Abhängigkeit von den jeweiligen Lehrstuhlinhaber*innen. Dieser massiven Abhängigkeit entspricht jedoch keinerlei Verbindlichkeit im Hinblick auf die Unterstützungs- und Betreuungspflichten letzterer. Werden hier informell-personenzentrierte Strukturen der „alten“ Universität zu Lasten des Mittelbaus also weiter gepflegt, so folgen Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftspolitik zunehmend der Logik exakter Messbarkeit und damit der Planbarkeit, der Be- und Verrechenbarkeit von Wissens- und Bildungsarbeit, der zeiteffizienten Organisation und der eindeutigen individuellen Zurechenbarkeit akademischer Leistungen. Die Methoden der Wissenschaftssteuerung befördern dabei v.a. die künstliche Verknappung und Verdichtung von Zeit, und zwar u.a. mit den Mitteln der Prekarisierung und der Erhöhung von Leistungs- und Konkurrenzdruck (vgl. Vortrag von Tino Heim).

Die Schaffung neuer Managementstrukturen in den Universitäten führt darüber hinaus zu einer dauerhaften Einschränkung der Partizipations- und Selbstverwaltungsmöglichkeiten der einzelnen Statusgruppen (auch der Professorenschaft!) und zur Zentralisierung von Entscheidungsmacht im Rektorat / Präsidium. „Kennzahlen-“ und „Evaluierungswahn“ (mit einem entsprechend aufgeblähtem Verwaltungsapparat) sowie Zielvereinbarungen auf und zwischen allen Ebenen simulieren die Be- und Verrechenbarkeit des Outputs sowohl von Forschung (Ergebnisse sind 1:1 wirtschaftlich und / oder medial verwertbar) als auch von Lehre und Studium („die Studierenden wissen, können, sind in der Lage…“). Die Einführung dieses universitätsfremden Markt- und Vermarktungsprinzips ist einerseits getragen von der (politisch offenbar nicht weiter begründungsbedürftigen, aber durchaus fragwürdigen) Annahme, dass „eine hinreichend hohe Personalfluktuation“ (Begründung zum WissZeitVG; derzeit 80 bis 90 % Befristung) auch eine beschleunigte Produktion von gehaltvollem „Wissen“ zur Folge habe. Andererseits führt sie auf der Ebene der Beschäftigten (inklusive der Professor*innen) zunehmend zur Simulation von Wissenschaft, um der Konkurrenz- und Wettbewerbslogik Genüge zu tun.

Wissenschaftszeitvertragsgesetz

Das Gesetz ermöglicht in seiner derzeitigen Form die Befristung jeglichen wissenschaftlichen Personals an den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen – so zumindest wird es in praxi von den Universitäten ausgelegt. Eine zunehmende Anzahl von Klagen sowie auch einige Details aus dem Evaluationsbericht zum WissZeitVG (vgl. Vortrag Anja Weber) zeugen jedoch davon, dass das Gesetz eher Rechtsunsicherheit statt Rechtssicherheit schafft, da es – wie auch neuere arbeitsgerichtliche Urteile zeigen – extrem auslegungsbedürftig ist und über keine distinkte Definition von „wissenschaftlicher Tätigkeit“ verfügt. Ursprünglich zumindest verbal mit der Fiktion verknüpft, qualifiziertes wissenschaftliches Personal würde nach Ausschöpfung der Höchstbefristungsdauer entfristet, entfaltet es die genau entgegengesetzte Wirkung. Nach 6 bzw. 12 Jahren wird – so die institutionelle Praxis – das Personal einfach ausgetauscht und einem Arbeitsmarkt überantwortet, der für dessen spezifisches Qualifikationsprofil überhaupt keine Verwendung hat. Zugleich geht der Universität damit kontinuierlich ein Erfahrungswissen verloren, das größtenteils mit öffentlichen Geldern finanziert wurde.

Permanente Unterfinanzierung und Verteilungskämpfe

Haushaltsfinanzierung wird zugunsten selbst eingeworbener Drittmittel immer weiter zurückgefahren; die nächste Kürzungsrunde zeichnet sich am Horizont immer schon ab. Drittmittel aber sind zweckgebundene Mittel, deren Verwendung zudem zeitgebunden ist, sie sind für zu leistende Daueraufgaben also keine geeignete Finanzierung. Zweitens werden auf diese Weise disziplinäre Ungleichgewichte erzeugt oder verstärkt: Es gibt Fachbereiche – wie z.B. die Ingenieurwissenschaften – die drittmittelstärker sind als andere, insbesondere Geistes- und Sozialwissenschaften. „Curricularnormwerte“, die für die Natur- und Technikwissenschaften wesentlich höher angesetzt sind als in den „Textwissenschaften“ und die die Grundlage für die Kapazitätsberechnungen der einzelnen Struktureinheiten bilden, verstärken diese Tendenz noch. Die Verteilung der Mittel innerhalb der Universitäten wird von einer Ebene auf die nächst untere durchgereicht, so dass die einzelnen Struktureinheiten in dauerhafter Konkurrenz zueinander gehalten werden, was kooperative und interdisziplinäre Forschungsansprüche konterkariert und Solidarisierung auf allen Ebenen be- bzw. verhindert.

Organisationelle Intransparenz und Entdemokratisierung

Als ein weiterer Problemkomplex wurde die zunehmende Auflösung partizipativer Strukturen der akademischen Selbstverwaltung diskutiert. Besonders verhängnisvoll wirkt sich hier die Abkopplung zentralisierter Entscheidungsstrukturen auf der Leitungs- und Verwaltungsebene von der Wissenschaftspraxis aus, für die etwa die verbreitete Tendenz, Prorektor*innen / Vizepräsident*innen für ihre gesamte Amtszeit von Forschung und Lehre freizustellen, paradigmatisch ist. Gegenüber den im Vollzeitberuf des „Wissenschaftsmanagers“ erarbeiteten Vorlagen verkommen die ehrenamtlich besetzten Entscheidungsgremien (Fakultätsräte, Senat etc.) zunehmend zu reinen Akklamationsorganen. Die Folgen dieser Entdemokratisierung liegen denn auch in einer Trennung der Steuerung der Universität vom eigentlich relevanten Organisationswissen an der Basis und in einer auf beiden Seiten wachsenden Intransparenz. Von der Leitungsebene werden Informationen oft nur fragmentiert und häppchenweise nach ‚unten‘ weitergereicht, etwa um potenziell umstrittene Implikationen und Konsequenzen bestimmter Entscheidungen möglichst lange zu kaschieren. Aber auch von ‚unten‘ entsteht Intransparenz dadurch, dass jede offene Kommunikation von Problemen und Unzulänglichkeiten der eigenen Struktureinheit jederzeit zu einer weiteren Kürzungsentscheidung führen kann. Statt einer lösungsorientierten Problembearbeitung werden in Qualitätssicherungsprozessen dann bevorzugt Scheinprobleme verhandelt, Zahlen geschönt und „Stabsstellen“ (z.B. „diversity management“) eingerichtet, die nach außen Fortschrittlichkeit und Transparenz simulieren, nach innen aber entweder wirkungslos bleiben oder zu ostentativer Fassadenpolitik genutzt werden.

Bologna-Reform

All diese administrativen und institutionellen Probleme verschärfen sich nun noch aufgrund der Arbeits- und Studienbedingungen, die mit dem Bologna-Prozess ins Werk gesetzt wurden: Bei weitgehend stagnierender Personalausstattung hat sich die Lehr- und Prüfungslast exorbitant erhöht; die Modularisierung zerhackt Wissensbestände in die kleinstmögliche prüfbare Einheit; die abschlussrelevante Einrechnung aller erbrachten und benoteten Leistungsnachweise fördert das sog. Bulimie-Lernen, das den Rückgriff auf einen übergreifenden Wissensbestand weiter beeinträchtigt; die kumulative und selbstgesteuerte Wissensaneignung fällt einer umfassenden Verschulung zum Opfer, die zugleich das altehrwürdige Ziel der Persönlichkeitsbildung unterläuft; die Verknappung der Studienzeiten und Prüfungsdruck verhindern zivilgesellschaftliches Engagement; und über all diesen Entwicklungen schwebt der Mythos, dass das Studium in seiner jetzigen Form (insb. BA-Studium) gleichzeitig humanistische Bildung, wissenschaftliche Qualifikation und berufspraktische Ausbildung sein könne. Dass die diesbezüglichen Problemlagen sich aus Studierendenperspektive ganz ähnlich darstellen, wurde in einem gemeinsamen Workshop mit Vertreter*innen der Dresdner Studierendeninitiative Quo Vadis und Daniel Gaittet vom Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs) deutlich.

In der Summe hinterließen die Vorträge und Diskussionen so den Eindruck, dass in der heutigen Universität weder über die Funktionen und Leistungen noch über die Formen, in denen diese verantwortlich erfüllt werden können, Klarheit besteht. Mindestens ebenso uneindeutig erscheinen das Berufsfeld und die Tätigkeitsprofile, die zwischen Qualifikationsfiktionen, faktischen Anforderungen an eigenverantwortliche, professionelle und routinierte Erfüllung von quasi-professoralen Tätigkeiten und karriereopportunen Selbstvermarktungsstrategien zerrieben werden. In diesem Umfeld wird die Perspektivlosigkeit zur einzigen Gewissheit. War zur Buhlman-Reform 2002 nur die Rede davon, gegen das „Mittelmaß im Mittelbau“ eine Nachwuchs-Generation „verschrotten“ zu müssen, ist die institutionalisierte „Verschrottung“ des Personals, sobald dieses fertig qualifiziert ist (oder auch nicht), inzwischen der verlässlichste Bestandteil deutscher Wissenschaftspolitik. Das neue Flickwerk aus bunten Trostpflastern, welches die gegenwärtigen Reformabsichten versprechen, wird die Frist bis zur Verschrottung in einigen Fällen sicher angenehmer gestalten oder etwas hinauszögern helfen. Prinzipielle Wege aus der Krise müssten jedoch anders beschaffen sein.

Wege aus der Krise

Konsens der Tagung, insbesondere der Podiumsdiskussion „Wege aus der Krise?“,**** war, dass die Lösungen all dieser Probleme nicht in einer Restitution der „alten“ (Ordinarien-)Universität liegen können. Die von vielen Beteiligten geäußerte Utopie, dass das Endziel nicht der verlässlichere Weg zur Professur, sondern vielfältige Berufsperspektiven an Universitäten ohne Professor*innen oder zumindest mit flacheren Hierarchien sei, scheint zugleich mittelfristig keine realistische Option. In der Mehrzahl wurden daher Lösungsvorschläge diskutiert, die auf der Höhe des heutigen akademischen Funktions- und Anforderungsfeldes ein Mindestmaß an Interessenvertretung, Zukunftsperspektive, Partizipation und Rechtsgarantien für den „Mittelbau“ bewerkstelligen können, ohne langfristige Transformationsmöglichkeiten, in der heterogene Formen kooperativer wissenschaftlicher Tätigkeit jenseits von Statusdünkel, Profilierungsdruck und Verdrängungswettbewerb möglich werden, aus dem Blick zu verlieren.

Neue Organisations- und Aktionsformen der Interessenvertretung

Offenkundig ist der akademische Mittelbau in besonderem Maße mit dem Grundproblem aller Erwerbsgruppen konfrontiert, die seit der rot-grünen Offensive zur Beseitigung basaler Arbeitnehmer*innenrechte ab 1998 zwangsprekarisiert wurden: Bestehende Körperschaften der Interessenvertretung bleiben der Fiktion eines Normalarbeitsverhältnisse verpflichtet, das für die Arbeitnehmer*innen keinerlei Realität mehr besitzt, was die aktive oder passive Vertretung ihrer Interessen durch die damit nur bedingt kompatiblen Organisationsformen erschwert. Daher werden auf absehbare Zeit Basisinitiativen, die in den letzten Jahren an fast allen deutschen Hochschulen entstanden sind, eine zentrale Rolle spielen müssen. Diese stehen aber vor massiven Problemen, die neben dem Ressourcenmangel vor allem die Suche nach geeigneten Aktions- und Artikulationsformen sowie die Erhaltung und Tradierung des Bewegungs- und Organisationswissen betreffen. Auf der ersten Ebene haben vor allem die Beiträge von Marie Dieckmann von der Hilfskraftinitiative FFM und von Caroline Behrens gezeigt, dass hier eine prekäre Balance von konstruktiven Dialogangeboten, Problemanalysen und Lösungsvorschlägen und der offensiven Sabotage des Images der Universitäten und Forschungseinrichtungen erfordert ist, um die eingefahrenen Selbstillusionierungen, Problemleugnungsstrategien und Schaudiskurse des Universitätsmanagements aufzubrechen und die Notwendigkeit eines Dialogs zu erzwingen. Dafür sind kreative Aktionsformen erforderlich. Auch wenn Aktionsformen wie die von der Hilfskraftinitiative FFM gewählten Formen des Streiks oder der Bibliotheksbesetzung für andere Statusgruppen nur schwer umsetzbar sein dürften, zeigt die Erfahrung, dass auf der Ebene des Mittelbaus schon der bloße „Dienst nach Vorschrift“ (was neben der Verweigerung unabgegoltener Überstunden v.a. die Ablehnung der stellvertretenden Erfüllung professoraler Aufgaben umfassen muss) wirksam ist. Auf der zweiten Ebene müssen die Initiativen auf das Problem des raschen Ausblutens reagieren, auch um den gängigen Zerfaserungs- und Hinhaltetaktiken zu begegnen, die darauf setzen, engagierte Personen bis zum Auslaufen ihres Vertrags in einen ergebnislosen „Dialog“ zu verwickeln. Hier hilft lokal nur fortgesetzte Aktivität. Langfristig kann dem Problem aber nur durch weiterreichende Strategien begegnet werden.

Erneuerung und Veränderung bestehender Repräsentations- und Partizipationsformen

Die Organisation in Basisinitiativen schließt keineswegs aus, auf eine Erneuerung und Erweiterung der Gremienstrukturen und Repräsentationsorgane hinzuwirken, um auch dort eine adäquate Interessenvertretung derjenigen Statusgruppen (WHKs, Lehrbeauftragte, Honorarkräfte) zu gewährleisten, die bisher aus formalen, aber ihrer eigentlichen Funktionswichtigkeit in keiner Weise entsprechenden Gründen außen vor bleiben. Darüber hinaus ist es notwendig, auf allen Ebenen der universitären Leitung und Selbstverwaltung transparente und verbindliche Informationen und Kommunikationsstrukturen einzufordern, so dass die jeweiligen organisationalen Verantwortlichkeiten geklärt und die gängigen Sachzwangargumente für alle Universitätsangehörigen überprüfbar werden.

Vernetzungen und Dachverbände

Über die lokale Basisorganisation und die Einbindung und Erneuerung von bestehenden Vertretungsstrukturen hinaus wurde die Schaffung von Dachverbänden und übergeordneten Netzwerkstrukturen für die bundesweite Interessenvertretung in enger Verbindung mit einer statusgruppenübergreifenden Vernetzung (Mittelbau-, WHK-, Lehrbeauftragten-, Stipendiat*innen-, Doktorand*innen- und Studierendeninitiativen, prekarisierte Junior-, Vertretungs- und Befristungsprofessor*innen, Privatdozent*innen) als besonders drängend eingeschätzt. Denn einerseits potenziert sich das Problem der Tradierung des Organisations- und Erfahrungswissens dadurch, dass dieses bislang von jeder lokalen Basisinitiative neu erworben werden musste. Andererseits bleibt die Wirksamkeit lokal zersplitterter Initiativen (so groß sie an der jeweiligen Universität sein mag) gering, sobald es um Einmischung in Fragen der Landes- und Bundespolitik geht, auf der die wesentlichen Strukturentscheidung getroffen werden.

Wissenschaftliche Tätigkeit muss sich als Beruf neu erfinden!

Die Fixierung von Hochschulpolitik und -management auf die Fiktion, Wissenschaft werde von einigen genialen Spitzenforscher*innen vorangetrieben, verfehlt die institutionelle Wirklichkeit eines kooperativen Forschungsprozesses, in dem die seltenen Durchbrüche nur auf der Grundlage von Wissenstradierung und vielfältigen Versuchen und Irrtümern möglich werden. Statt dem heutigen Zwang zur permanenten Simulation von Kreativität, Originalität und Produktivität zu huldigen (die, wie schon Max Weber wusste, nur zur Durchsetzung des sich genial wähnenden Mittelmaßes beiträgt), bedarf es anerkannter Berufe, die der Vielfalt der Aufgaben und Funktionen entsprechen.

Die Entwicklung fester und institutionell anerkannter Berufsbilder jenseits der Professur muss dabei der Tatsache gerecht werden, dass die Vermittlung von Wissen und wissenschaftlichem Handwerkszeug nicht ‚Spitzenforschung‘, sondern ein komplexes fachliches und didaktisches Erfahrungswissen eigener Art erfordert. Die Ausübung solcher didaktischen, technischen und methodologischen Grundlagenarbeiten in Forschung und Lehre darf  nicht auf den Zeithorizont einer 6- / 12-jährigen „Qualifizierungsphase“ beschränkt sein, sondern muss, wie in anderen europäischen Wissenschaftssystemen auch, auch jenseits der Professur Zugänge zu einem dauerhaften, der Qualifikation entsprechenden Beruf ermöglichen.

Das Zusammenwirken vielfältiger Wissenschaftsberufe erfordert die Enthierarchisierung der Universitäten und Forschungseinrichtungen

Zwischen hochqualifizierten akademischen Tätigkeiten eigenen Rechts sind Statushierarchien und Abhängigkeiten überflüssig. Erfordert ist hier das konsequente Aufbrechen der Ordinarien- und Lehrstuhlstrukturen durch bspw. Departementalisierung. Damit muss die eigenverantwortliche und selbständige Forschung und Lehre insbesondere von bereits promovierten Wissenschaftler*innen, die längst eine faktische Realität ist, auch formell anerkannt und gratifiziert werden. Überwiegend in der Lehre Tätige dürfen nicht länger als „Wissenschaftler*innen“ zweiter Klasse behandelt werden.

Neugestaltung der Promotionsphase

Die Überwindung der Residuen der Ordinarienuniversität muss auch eine Neugestaltung der Promotion einschließen. Dazu gehört v.a. die Etablierung von verbindlichen und einklagbaren Betreuungsverhältnissen und die entsprechende Abschwächung der persönlichen Abhängigkeit vom Doktorvater / von der Doktormutter, etwa durch die stärkere Entkoppelung von Betreuungs- und Gutachtertätigkeit, vor allem aber durch die Entflechtung der Rollen von Betreuer*in und unmittelbarer/m Vorgesetzten.

Neuordnung der Lehre

Hierzu gehört in erster Linie eine verantwortliche Gestaltung der von Bologna oktroyierten „Sachzwänge“, z.B. durch eine durchdachte Konzeption von BA-Studiengängen, die mehr sind als „halbierte“ Diplom- oder Magister-Studiengänge. Darüber hinaus ist aber auch hier neben einer Aufstockung der Stellen, die der Zunahme der Studierenden entspricht, eine Neubestimmung des Berufsbildes der Lehrkräfte erforderlich, die insbesondere auch der (wünschenswerten) wachsenden sozialstrukturellen Heterogenität und Diversität der Studierendenschaft gerecht wird.

Unabhängige Ombudsstellen

Für die Umsetzung aller genannten Punkte ist die Einrichtung unabhängiger Ombudsstellen, die im Konfliktfall von allen universitären Statusgruppen angelaufen werden können und nach klaren Kriterien verbindliche Entscheidungen fällen, notwendig.

Neubestimmung der Leitidee der Universität und ihrer gesellschaftlichen Funktion

Alle genannten Punkte implizieren eine neue Selbstverständigung über die „Leitideen“ der Institution Universität, die weder als verlängerte Schulbank noch als vorverlagerte Werkbank ihren Funktionen gerecht werden kann, gleichzeitig aber berücksichtigen muss, dass beides zunehmend zu ihren gesellschaftlichen Leistungen gehört. Diese Leistungen müssen erfüllt werden, dürfen sich aber nicht auf die technokratische Weitergabe von Funktionswissen beschränken. An der Diskussion, ob und wie die Universität ihren weiteren gesellschaftlichen Funktionen gerecht werden kann – etwa als Vermittlungsinstanz von Allgemeinbildung und kritischer Reflexion, die auch zur ‚Erziehung zur Mündigkeit‘ beitragen kann und damit Voraussetzung von funktionierender Demokratie und Zivilgesellschaft ist –, muss sich auch entscheiden, zu welchem Zweck und für welche gesellschaftlichen Interessen die Freiheit von Forschung und Lehre und die Grundlagen wissenschaftlicher Tätigkeit verteidigt und neu gestaltet werden sollen.

 

Anmerkungen:

* Vgl. dazu auch den Tenor der diesbezüglichen Artikel in E&W 9/2015, S. 6-20.

** Als „regulär“ in Anführungszeichen werden hier diejenigen Mitarbeiter*innen bezeichnet, die zwar befristet beschäftigt sind, sonst aber alle Privilegien deutschen Arbeitnehmerrechts genießen. Darüber sollte nicht vergessen werden, dass die Politik immer noch das unbefristete Beschäftigungsverhältnis als Normalarbeitsverhältnis bezeichnet (auch wenn das in bestimmten Bereichen von einer gewissen Realitätsferne zeugt).

*** Simon Liebig vom Promovierendenrat Freiberg (Promovierende); Michael Frey (Promovierte); Diana Authmann von der Lehrbeauftragteninitiative Leipzig (Lehrbeauftragte); Marie Dieckmann und Milan Loewy von der Hilfskraftinitiative Frankfurt a.M. (Studentische und Wissenschaftliche Hilfskräfte); Caroline Behrens (Beschäftigte/Stipendiat*innen an außeruniversitären Forschungseinrichtungen); schriftliche Beiträge wurden verlesen von: Lars Frers (Emigrierte) und Katja Levy (Juniorprofessor*innen)

**** Michael Frey (Berlin), TorstenSteidten (GEW Sachsen), Mathias Kuhnt (mid, Dresden), Diana Authmann (Leipzig), Peter Ullrich (Berlin), Marie Dieckmann (Frankfurt a.M.), Caroline Behrens (Göttingen)

2 Gedanken zu „Nachwuchs bis zum Tod im Traumjob Wissenschaft (Tagungsbericht)

  1. Der Tagungsbericht „Nachwuchs bis zum Tod …“ spricht mir aus dem Herzen.
    Ich begrüße es sehr, dass in diesem Text das Wort „Berufsverbot“ explizit verwendet wird, denn nichts anderes ist Personalpolitik für diejenigen, die unvesrschuldet ihre Stelle verlieren.
    Ich sehe mittelfristig keinen Ausweg aus dieser für viele Betroffene fatalen Situation.
    Meiner Meinung sollte das oberste Ziel aller Initiativen, Gewerkschaften, vernünftig denkenden Politiker sein, sich für mehr feste, unbefristete Stellen in Lehre und Forschung einzusetzen, sowohl für mehr Professuren als auch Stellen unterhalb der Professur. Änderungen am Wissenschaftszeitvertragsgesetz reichen allein nicht aus.
    Gruß, LM

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